"Der Tod im Islam" aus erster Hand

Murat Baser, erster Imam der Islamischen Religionsgemeinde Linz und Religionslehrer, referierte am 17. Oktober 2022 im Rahmen der Reihe "Blicke auf den Tod" über muslimische Abschiedskultur in Oberösterreich. Der Experte skizzierte das islamische Verständnis des Todes und erläuterte jene Rituale, die Sterbende begleiten. Muslime bestehen auf Erdbestattung. Tote werden rituell gewaschen und es wird aus dem Koran rezitiert und gemeinsam gebetet. 

Islam und Christentum

Den Abend moderierte Stefan Schlager, katholischer Theologe und Leiter des Referates Theologische Erwachsenenbildung und Weltreligionen der Diözese Linz. Er verwies darauf, dass beim II. Vatikanisches Konzil (1962-1965) ein Umdenken beim Blick auf andere Religionen und Kulturen in der römisch-katholischen Kirche stattgefunden hat, eine "Kehrtwende um 180 Grad". Heute ist Hochachtung und Respekt vor anderen Religionen geboten, denn Gott ist der Vater aller Menschen ohne Unterschiede. Religionen haben alle die gleichen Herausforderungen. Sie formulieren Antwortversuche auf existentielle Fragen: Woher kommen wir? Woher gehen wir? Was ist der Sinn unseres Daseins? Zwischen den abrahamitischen Religioen gibt es viele Berührungspunkte, so das Gebet über dem offenen Grab, die Bitte, dass die Engel, die Toten begleiten und der Glaube, dass Gott treu sein wird im Tod. Der Glaube an die Auferstehung verbindet Christentum und Islam.

Der Tod als Integrationsthema

Murat Baser erzählte, dass es für seinen Vater, der auch in Österreich lebt, selbstverständlich ist, dass er in seinem Herkunftsland, der Türkei, bestattet werden möchte. Das ist nach wie vor bei vielen Muslim/innen so, die als "Gastarbeiter*innen" nach Österreich gekommen sind und hier geblieben sind. Eigene Sterbeversicherungen erleichtern es, die Kosten einer Überführung zu finanzieren. Je stärker sind jemand mit Österreich identifiziert, je eher will jemand auch hier in Österreich bestattet werden. Das gilt insbesondere für die zweite und dritte Generation der Migrant*innen. Murat Baser berichtete, dass er im Religionsunterricht anhand der Frage des Ortes der Bestattung die Identität von jungen Menschen thematisiert: "Der Tod ist im Islam ein Integrationsthema". Das der Tod und die Bestattung oft weit weg stattfinden, mache Muslim/innen säkularer, ist Murat Baser überzeugt. 

Islamisches Verständnis des Todes

„Jede Seele wird den  Tod kosten ….“ heißt es in Sure 3:185. Der Mensch trifft selbst Entscheidungen im Leben, aber der Zeitpunkt der Geburt und der Zeitpunkt des Todes sind von Gott vorherbestimmt. Im Sterbeprozess übernimmt der Todesengel die Seele. Der Tod ist für Muslim*innen kein Ende, sondern ein Anfang. Es ist gut sich für den Tod vorzubereiten. Muslim/innen glauben an die Aufstehung und an ein Jenseits. Der Tod wird am jüngsten Tag getötet: Das Paradies und die Hölle wird dann aufgelöst. Zeit spielt keine Rolle mehr.

Begleitetes Sterben

Zu den Pflichten einer/eines Muslims/Muslima zählen die Teilnahme am Begräbnis und die Anteilnahme, wenn jemand Bekannter stirbt. "Wenn jemand im Sterben liegt, kommen im Krankenhaus 50 Leute, auch um 3 Uhr in der Früh", erzählt Murat Baser. Zum Sterbenden kommen Seelsorger/innen und es werden die Sure Yashin (36) und Al-Fatiha (1) rezitiert. Das Glaubensbekenntnis wird leise vorgetragen oder ins Ohr geflüstert. Es ist wichtig, Mut und Hoffnung zu geben für den/die Sterbende/n und für Angehörige und Hinterbliebene. 

Rituelle Waschung und rituelle Bestattung

Die Waschung des Leichnams muss für Muslime rituell erfolgen. Die Aufgabe übernimmt ein Imam oder Angehörige. In islamischen Ländern gibt es Beamte, die dafür zuständig sind. Auch die Bestatter in Österreich haben Erfahrung und stehen in Kontakt mit der islamischen Glaubensgemeinschaft. Beim Waschen ist der Blick Richtung Mekka gewandt und die Augenlider werden geschlossen. Es wird lauwarmes Wasser verwendet. 

Die Beerdigung soll möglichst noch am selben Tag stattfinden. In Österreich in der Regel am nächsten Tag nachdem der Leichnam freigegeben wurde. Die rasche Bestattung hat einen theologischer Grund: Der Verstorbene muss sofort zu Allah, sagte Prophet Mohammed. 

Feuerbestattung kommt für Muslim*innen nicht in Frage. Wie Adam ist der Mensch aus Erde geschaffen, glaubt man. In Österereich ist die Bestattung in einem Sarg gesetzliche Pflicht, in islamischen Ländern wird ohne Sarg bestattet. Der Leichnam ist immer in weiße Leinentücher gehüllt.  Das Gesicht muss zur Kaaba in Mekka ausgerichtet sein. In den Sarg in Österreich kommt ein kleine Menge Erde, um den direkten Kontakt des Leichnams mit der Erde sicher zu stellen. 

Wichtig ist, dass das Totengebet verrichtet wird: Salat-ul-Janazah. Viele Muslime möchten in Mekka sterben, denn dort beten Millionen Muslime und das wird als gut für das Leben im Jenseits empfunden. Wenn ein Muslim stirbt ohne dass ein Totengebet verrichtet wird, werden die Imame und Angehörigen zur Rechenschaft gezogen am jüngsten Tag, ist der Glaube. 

„Besucht die Gräber, denn sie erinnern euch an den Tod“

Muslimische Friedhöfe sind eher schlicht gestaltet, geboten ist eine zweckmässige und schmucklose Grabstätte. Besuche am Friedhof sind durchaus wünschenwert, denn „der Friedhof ist der beste Ratschlaggeber“, so Murat Baser. Auch die Reichen und Mächtigen liegen dort. Mittlerweile ist Grabpflege und das Setzen von Blumen auch durchaus üblich auf muslimischen Gräbern. Auch Bräuche wie Trauerparte, Totenbild und gemeinsames Essen nach der Bestattung zeigen, dass sich die Traditionen annähern. Murat Baser schmunzelt: "Die Gelehrten wollen keine Bilder der Verstorbenen am Grabstein. Real gibt es jede Menge".

In Österreich gibt es drei muslimische Friedhöfe, in Traun-St. Martin, in Wien und in Feldkirch. Immer wieder finden auch Bestattungen von Muslim*innen auf anderen Friedhöfen statt. Es ist für eine Grabstelle empfohlen, dass rundherum Muslim*innen bestattet sind, aber Pflicht ist das keine. Aus katholischer Sicht spricht, so Stefan Schlager, nichts gegen die Bestattung von Muslim*innen auf einem katholischen Friedhof. 

>> Weitere Veranstaltungen in der Reihe Blicke auf den Tod

>> Feierbehelf christlich-muslimisches Totengedenken (von Stefan Schlager und Murat Baser)

>> Ausstellung der Tod in den Religionen der Welt am St. Barbara Friedhof von Sa. 29. Oktober 2022 bis Mi. 2. November 2022

Text: Andrea Mayer-Edoloeyi
Fotos: Clemens Frauscher / St. Barbara Friedhof