Der Tod zwischen Verdrängung und Phaszination – Der Psychologe Martin Prein referierte am St. Barbara Friedhof

Der bekannte Notfallpsychologe, Thanatologe und ehemalige Bestatter Dr. Martin Prein eröffnete eine neue Veranstaltungsreihe am Ort der Trauerkultur „Blicke auf den Tod“. Am Mittwoch, 7. Oktober 2020 hörten etwa 50 Personen seinen Vortrag.

Ausgangspunkt der Überlegungen von Dr. Prein ist das Leichentabu, welches es zu allen Zeiten und in allen Kulturen gibt. Ein Tabu hat immer einen Sinn. Die Vorstellung hinter dem Leichentabu ist, dass der tote Körper mit dem Macht- und Chaospotential des Todes umgeben ist. Darum ist das Leichentabu in erster Linie ein Berührungsverbot. Der tote Körper konfrontiert mit der Macht des Todes, der eigenen Sterblichkeit und der Unverfügbarkeit des Lebens. Niemand weiß, wie es ist, tot zu sein. Der Tod übersteigt der rationale begriffliche Vorstellungsvermögen und ist immer ambivalent. In der direkten Begegnung mit dem toten Körper entsteht bei vielen Menschen ein Gefühl des Unbehagens, Unheimlichen und des Gruselns. Das gilt genauso für Menschen in Berufsgruppen, die mit dem Tod zu tun haben wie Pflege- und Einsatzkräfte oder Bestatter. 

Jede Kultur und jede Zeit entwickelte Rituale des Umgangs mit dem Leichentabu. „Was früher ein Stück Brot und ein Schluck Most beim Verlassen des Trauerhauses war, sind heute Handschuhe und Desinfektionsmittel“, erklärte Dr. Martin Prein sehr anschaulich. Immer geht es beim toten Körper um die Ambivalenz von Unreinheit und Gefahr und gleichzeitig Heiligkeit und Unverfügbarkeit. 

Die einzig angepasste Reaktion auf den Tod ist Angst. Das System will nicht sterben. Wir Menschen wissen im Unterschied zu den Tieren auch außerhalb einer Gefahrsituation um die eigene Sterblichkeit. Um diese Angst vor dem Tod in den Griff zu bekommen, haben wir viel an kulturellen Werten und Phänomenen entwickelt. In jeder Kultur gibt es Religion. Jede Kultur, die auf Jenseitshoffnung setzt, setze auf Entkörperung. Die Idee, dass wir Menschen nicht nur Körper sind, kommt in der sprachlichen Unterscheidung zwischen „Leichnam“ und „Verstorbenen“ zum Ausdruck. Die Existenzangst wird beruhigt durch symbolische Unsterblichkeit, z.B. das Weiterleben in den Kindern oder schriftliche Hinterlassenschaften. 

Sozialpsychologische Experimente zeigen, dass Todesangst Menschen massiv verführbar für Inhumantität macht. Dr. Prein empfiehlt sich mit dem Thema Tod zu beschäftigen - aber in der ganzen Breite und Tiefe. Die gegenwärtige Rede über den Tod ist stark eingespurt in eine sprachliche und bildsprachliche Tendenz, die der Psychologe die „Verteelichtung des Todes“ nennt. Allzuschnell gibt es eine weich gezeichnete Bildsprache, die zur Re-Tabuisierung führen kann. Umsorgtes Sterben als friedliches Einschlafen auf der Pallativstation ist eine Variante des Todes. Aber es gibt auch die hässliche Fratze des Todes.

Tröstlich ist, dass es heute viel bessere Angebote der Trauerbegleitung gibt als früher. 

Weitere Termine am St. Barbara-Friedhof  im Rahmen der Reihe „Blicke auf den Tod“ im Vorfeld von Allerheiligen