Informativer Vortrag über Abschiedskultur im Judentum mit Charlotte Herman

Am 9. Oktober referierte im Rahmen der Reihe „Blicke auf den Tod“ Dr.in Charlotte Herman, Präsidentin der Israelitischen Kulturgemeinde Linz (IKG) über den Tod und Sterben im Judentum und über die Bedeutung jüdischer Friedhöfe.

Dabei erzählte sie auch sehr konkret über den Ablauf der Trauerfeierlichkeiten ihrer vor drei Jahre verstorbenen Mutter, die am Linzer jüdischen Friedhof bestattet wurde. 

Abschiedsrituale

Wenn Jüdinnen und Juden sterben, ist oberstes Gebot, dass sie innerhalb von 24 Stunden begraben werden. Ausnahme ist dabei der Sabbat – an diesem wöchentlichen jüdischen Feiertag darf kein Begräbnis stattfinden. Bestattungen von Jüdinnen und Juden werden auch in Linz und Oberösterreich von der „Heiligen Bruderschaft“ begleitet und organisiert, welche in Wien ansässig ist und eng mit der israelitischen Kultusgemeinde zusammenarbeitet.

Eine Totenwache wird abgehalten sobald eine Jüdin oder ein Jude verstorben ist. Die Angehörigen helfen mit, den Leichnam in Leintücher zu hüllen und auf den Boden zu legen. Man trägt den Leichnam mit den Füßen voran aus dem Zimmer, „damit die Seele nicht zurückkehrt“. Von diesem Ritual kommt die Redeweise „Mit den Füßen nach vorne aus dem Haus getragen“.

Vor dem Begräbnis wird der Leichnam gewaschen. Das machen Frauen für Frauen und Männer für Männer. Der Ort dafür ist das „Haus der Reinigung“. Ein solches findet sich auch am jüdischen Friedhof in Linz. Der oder die Verstorbene wird in Leichentücher gewickelt und trägt sonst nichts. In Ländern, wo es erlaubt ist (wie in Israel) wird auch so bestattet. In Österreich und Deutschland ist eine Bestattung ohne Sarg nicht erlaubt. Jüdinnen und Juden verwenden auch da nur schlichte Holzsärge ohne irgendwelche Verzierungen. Der Hintergrund ist, dass man die Erde so verlassen sollte wie man auf die Erde gekommen ist.

Wenn Männer versterben, gibt man oft einen Gebetsschal (Talit) als Grabbeigabe. Die Knoten an diesem Gebetsschal sollen bei den Lebenden an die Gebote und Verpflichtungen Gott gegenüber erinnern. Bei Verstorbenen werden die Fransen abgeschnitten, weil der Verstorbene keine Verpflichtungen mehr hat vor Gott. Nur im Reformjudentum verwenden auch Frauen einen Gebetsschal.

Begräbnis und Trauerwoche

Beim Begräbnis selbst braucht es zehn jüdische Männer bei einem traditionellen jüdischen Begräbnis, weil nur so die Totengebete gesprochen werden können. Die „Heilige Bruderschaft“ sorgt dafür das das erfüllt wird. Blumen und Kränze sind nicht üblich. Man sollte mit Kopf Richtung Jerusalem begraben sein. Der Leichnam wird mit Erde zugeschüttet.

Die Familie geht nach der Bestattung nach Hause. Die Trauerwoche (Shiwa) beginnt mit dem Begräbnistag. Beim Begräbnis wurde nahen Angehörigen (Kinder und Eltern) die Kleidung oder ein Schal eingeschnitten. Die zerrissene Kleidung wird die ganze Trauerwoche über getragen. In dieser Woche dürfen die Angehörigen nicht das Haus verlassen – nur der Beginn des Sabbat oder jüdische Feiertage unterbrechen diese Zeit. Freund:innen und Bekannte kommen in dieser Zeit nach Hause zu den nahen Angehörigen, sie bringen Essen und machen einen Trauerbesuch. Darum gibt es auch keine Zehrung in einem Gasthaus. In Israel sind Jüdinnen und Juden in der Trauerwoche vom Beruf  freigestellt. Wenn genug Gläubige da sind, wird in der Trauerwoche jeden Tag das Totengebet (Kaddish) gebetet.

Erinnerung an Verstorbene

Nahe Angehörige beten ein ganzes Jahr nach dem Sterbetag jeden Tag das Kaddish.  Man kann auch jemand bitten, das zu tun, der fix jeden Tag in die Synagoge geht. Das wird dann bezahlt.  Nach sieben Tagen findet am Friedhof einen kleine Zeremonie in Erinnerung an den Verstorbenen statt. In Israel wird schon nach 30 Tagen ein Grabstein erreichtet, in Österreich dauert das ein Jahr.

Die Trauerzeit beträgt beim Versterben der Eltern ein Jahr, bei anderen Angehörige einen Monat. Streng religiöse Jüdinnen und Juden sehen in dieser Zeit nicht fern, hören keine Musik, gehen auf keine Partys oder tanzen und schminken sich nicht. Praktisch ist das aber schwierig im Berufsleben, gibt Charlotte Herman zu bedenken.

Am Sabbat und an jüdischen Feiertagen und zwischen diesen Feiertagen geht man nicht zum Friedhof. Doch ist es üblich zu Hause oder in der Synagoge eine Kerze in Erinnerung an Verstorbene zu entzünden. Am Ende des Laubhüttenfestes entzündet man eine Kerze für alle Verstorbene. Personen, die heiraten wollen, besuchen üblicherweise das Grab ihrer Verstorbenen kurz vor der Hochzeit.  

Jeden Freitag Abend wird in der Synagoge das Kaddish Totengebet gebetet, wenn die dafür notwendigen zehn jüdischen Männer anwesend sind. Das ist in Linz zumeist nicht der Fall.

Ewige Totenruhe am Friedhof

Der Friedhof heißt auf hebräisch Betalmin, was „Haus der Ewigkeit“ bedeutet. Bei einem Besuch müssen Männer eine Kopfbedeckung tragen, das ist traditionell eine Kippa, aber es ist auch eine Haube oder Mütze möglich. Fromme verheiratete Frauen tragen auch eine Kopfbedeckung.

Viele Jüdinnen und Juden lassen sich in Israel begraben. Das liegt daran, dass viele Verwandtschaft in Israel haben, aber auch am Glauben, dass der Messias als erstes nach Jerusalem kommt. Manchmal wird auch ein Säckchen mit Erde aus Jerusalem ins Grab dazu gelegt, wenn außerhalb von Israel bestattet wird.

Im jüdischen Auferstehungsglauben ist das Verbot der Einäschung und die ewige Totenruhe begründet. In Linz ist genug Platz, in Israel gibt es aber reale Platzprobleme, sodaß in Etagen bestattet wird, ähnlich wie Tiefgaragen oder Parkhäuser.

Zwei Personen dürfen nicht im selben Grab bestattet werden. Es gibt also keine Familiengräber. Doch wird ein Ehepaar oft in nebeneinander liegenden Gräbern begraben.

Auffallend ist, dass es keine Blumen am jüdischen Friedhof gibt. Vielleicht bringt mal jemand einen Blumenstrauß mit, aber eine permanente Bepflanzung ist nicht üblich. Das Klima in Israel ist dafür ausschlaggebend, aber auch die Tatsache, dass bei einer ewigen Grabruhe nach hunderten Jahren nicht mehr damit zu rechnen ist, dass jemand da ist, der oder die die Grabbepflanzung und -pflege besorgen könnte.   

Beim Begräbnis und bei einem Friedhofsbesuch, legt man einen Stein auf das Grab. Dafür gibt es mehrere Begründungen. Der Stein ist ein Zeichen, dass jemand da war. Steine bleiben, Blumen verwelken. Blumen würden den Frieden stören in der Erde. Steine erinnern auch an Zerstörung des Tempels in Jerusalem und den Auszug aus Ägypten, wo Steine auf Verstorbene gelegt wurden, damit die wilden Tiere sie nicht fressen. Auch bei Holocaust-Denkmälern ist üblich, dass ein Stein hinterlassen wird.  

Bis 1863 gab es in Linz keinen jüdischen Friedhof: die Toten wurden in Rosenberg begraben. Der jüdische Friedhof von Linz wurde vom St. Barbara-Fonds geschützt in der Zeit des Nationalsozialismus und konnte so erhalten bleiben. Es gab allerdings starke Bombenschäden, 116 Gräber wurden komplett zerstört. Darum gibt es freie Flächen, die nicht neu belegt werden. Dort werden in nächster Zeit Grabtafeln angebracht, die vom Linzer Künstler Andreas Strauss gestaltet werden. Das Projekt wird vom Bund aus Mitteln für die Erhaltung jüdischer Friedhöfe gefördert.

Jüdinnen und Juden, die sich für eine Kremation entscheiden, können nicht am jüdischen Friedhof begraben werden. Es gibt allerdings Reformgemeinden mit Ausnahmen (in Israel). Wer nicht-jüdisch ist, kann nicht am jüdischen Friedhof bestattet werden – das betrifft auch nicht-jüdische Ehepartner:innen von Jüdinnen und Juden. Wenn dann trotzdem eine gemeinsame Bestattung gewünscht ist, wird dann auf einem anderen Friedhof bestattet und die israelitische Kultusgemeinde unterstützt bei Abschiedsritualen.

Entscheidend für die Möglichkeit, am jüdischen Friedhof bestattet zu werden, ist das Jüdisch-Sein. Ist die Mutter Jüdin, ist man jüdisch. Es gibt Möglichkeiten zum Judentum zu konvertieren, die aber nicht sehr leicht sind, weil das Judentum keine Missionarsreligion ist. Ob die Religion aktiv ausgelebt wird, ist nicht relevant für das Verständnis von Jüdisch-Sein.

Fotos: Clemens Frauscher.